Die Praxis

Das "wilde Wohnzimmer" von Lichterfelde

Eine Institution seit 1985

Am 18. November 1985 gründete Dr. Renate Lorenz ihre Praxis im Oberhofer Weg 68. Vorher war sie Wissenschaftliche Assistentin an der FU. Seitdem gehen Hund und Katz, Vögel, Nager, Reptilien und Exoten im Oberhofer Weg 68 ein und aus. Aber auch Pferde, Schafe und ganze Taubenschläge gehören zum Patientenkreis.

Wer zu Tierärztin Dr. Lorenz in Lichterfelde-Ost kommt, wird von unzähligen tierischen Stimmen empfangen. In den Praxisräumen fiept, gurrt und zwitschert es allerorten. Papagei Pepi pfeift seine Lieder, Hans, der Fußgänger-Eichelhäher lockt mit aufgeschnappten Lauten, Schildkröte Tarzan schleift stumm über den Boden während Pieps, der Spatz fröhlich piepst und Praxishahn Puschel gelegentlich ein lautes Kikeriki schmettert.

Olga von der Wolga, eine verwaiste Perserkatzendame aus Russland, zieht kontrollierend vorbei, während Security-Chefin Muc-Muc, eine stattliche rumänische Hirtenhündin unüberhörbar anschlägt, wenn tagsüber Postbote, UPS oder der "Blutmann" vom Labor auftauchen oder nächtens verdächtige Gestalten wie Fuchs, Marder oder andere Diebe auftauchen. Mit einem Lächeln bezeichnet Lorenz, die in der Presse auch schon als "Dr. Dolittle von Berlin" tituliert wurde, ihre Praxis als "wildes Wohnzimmer".

"Wild" versteht sich angesichts der vielen Tiere von selbst. Und das "Wohnzimmer" verweist auf die gemütliche Atmosphäre, die ihre Praxis ausstrahlt. Denn hier sollen sich Mensch und Tier wohlfühlen, trotz oder gerade wegen der oft ernsten Erkrankungen und Blessuren, die zu behandeln sind.

Draußen, im Freiluft-Wartezimmer kann man umgeben von Bäumen, Sträuchern bei einem Fischteich gemütlich sitzen und dem Treiben im Garten sowie in den Volièren und Ställen zusehen. Ohne Tiere geht im hier eben nichts.

Dass sich in dieser Tierarztpraxis so viele Zwei- und Vierbeiner aufhalten, liegt nicht nur am regen Praxisbetrieb, sondern auch daran, dass das Team verletzte oder verwaiste Tiere aufnimmt. "Die Fund- und Wildtiere werden uns meist von BSR, BVB, Polizei oder aufmerksamen Bürgern gebracht", erzählt die Tierärztin. Es sind vor allem Jungvögel, Igel und Eichhörnchen; aber auch Meerschweinchen, Kaninchen, Hamster, Mäuse, Krähen, Tauben, Fledermäuse, Exoten und Schildkröten landen auf diese Weise bei "Frau Dr. Dolittle". Für die vielen Vögel haben die Mitarbeiter sogar eine eigene Volière eingerichtet.

"Unser Highlight-Patienten waren Frettchen Freddi, unser Füchschen, die Eulen Knacki und Hedwig, Ziege Paula sowie Bussi, ein fast verhungerter Greif aus dem Frostwinter 2010 und aktuell unsere beiden Jungenten" berichtet Helferin Susi, Institution und gute Seele der Praxis in einem. Die Äffchen, Nasenbären und das Fernsehschwein aus "Alarm für Cobra 11", einer Berliner Tiertrainerin sowie die Lämmer vom Ponyhof "Flotte Hufe" sind ebenso ständige Gäste der Praxis wie die Tiere aus der Wagenburg.

Die Wildtiere werden, wenn immer möglich, wieder in die Freiheit entlassen. Besonders geeignet sei dafür der Stansdorfer Friedhof, denn dort könnten sie sich gefahrlos eingewöhnen, erklärt Susi. Praxiskater Suri, vor einigen Jahren von der Polizei mit vielfach gebrochenen Vorderbeinen in der Praxis abgegeben, hat dort ein festes Zuhause gefunden. Die Brüche mussten mit Zugschrauben und Drähten stabilisiert werden. "So schwierige Operationen überweisen wir zu einem Tierchirurgen aus Spandau, mit dem wir seit Jahren kooperieren", erklärt Dr. Lorenz. Danach musste er erst wieder lernen, die Vorderbeine zu benutzen. Heute ist der Kater ein wesentlicher Akteur der "tierischen Wohlfühlpraxis", weil er im Wartezimmer seine Streicheleinheiten abholt und sich mit vielen tierischen Patienten anfreundet.


Und das sagen Patientenbesitzer auf "KennstDueinen?"

Eine kleine Beschreibung

Von Rosa Bunt: "Tierisch drauf"

Einladend präsentiert sich der in einem sonnigen Gelbton gestrichene Vorraum zum Behandlungszimmer. Unter der Decke hängt ein knorriges, altes Ast- und Laubwerk, das herunterrankt und mindestens genauso viel angenehme Wohlfühlstimmung verbreitet wie schon der Vorgarten. Die Sitzecke, an deren Wänden hübsche, gerahmte Aufnahmen mit Tiermotiven hängen, ist mit angenehm warmem Licht ausgeleuchtet. Rot und weiß gestreifte Polsterkissen liegen auf den dunklen Holzbänken und neben der Tür zum Behandlungszimmer steht ein großer, geflochtener Weidenkorb mit Kartoffeln, Obst und allerlei anderem Grünzeug - frisch geerntet und noch feucht vom Morgentau. All das ist, wie ein am Tragegriff baumelnder Zettel erklärt, zum Mitnehmen für die Patienten!


Ein fast überquellendes Schwarzes Brett mit allen möglichen Tipps, Hinweisen, Anregungen und bunt gemixten Sprüchen zum Schmunzeln hängt voll mit Bildern, Schnipseln, Notizen und Zeitungsausschnitten, die teilweise frisch aus der Druckerpresse, teilweise abgegriffen sind und in ihrer Mehrheit augenscheinlich schon mal bessere Zeiten gesehen haben. "Wenn Sie einen Aushang machen möchten, können Sie das ruhig tun. Jeder kann hier hinhängen, was rund um sein Tier für ihn und für andere interessant sein könnte. Zum Beispiel, wenn man mal ein gebrauchtes Katzenkörbchen oder ähnliches benötigt oder wenn jemand, aus welchen Gründen auch immer, ein Tier abgeben muss und einen neuen, vertrauensvollen Halter sucht. Dann hängen Sie ihr Anliegen einfach hier aus."

Renate Lorenz begrüßt ihre Patienten streng der Ordnung nach, das heißt zunächst Katz und Hund & Co., dann Frauchen und Herrchen. Mit einem Schmunzeln und liebevollen Schäkern streicht Renate Lorenz jedem Tier sanft durchs Fell und krault es unter dem Kinn. Gelassen und beruhigend spricht sie auf alle ein.

Offenbar kennt sie jedes von ihnen schon seit langem, erinnert sich an die eine oder andere kleine Geschichte zu ihren tierischen Patienten, die sie untrüglich ebenso hoch schätzen wie ihre Besitzer.